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Heute nur Weißwein

Man malt es sich oft aus. In schwarz.weiß-grau, in rot-blau-kariert.

Das Treffen mit ihm, unverhofft, irgendwo.

 

Und heute war es soweit. Er saß dort, wo ich es vielleicht erwartet, doch nie gedacht hätte.

An einem Ort, den wir oft besuchten. Zum Arbeiten, zum philosophieren, zum visualisieren. 

 

Dort saß er, am Fenster, auf einem Hocker und er hatte mich wohl nicht gesehen. Mein Herz schlug im 3/4 Takt, gemixt mit einem 4/16. Durcheinander, nicht geordnet. 

Ich begrüßte ihn, so cool und so toll, wie ich es konnte. Nein, ich hatte mich nicht extra nachgeschminkt, nicht meine tollen neuen Klamotten angezogen. 

Ich hatte das gleiche Kleid an, was wir zusammen gekauft hatten. Meinen gleichen roten Lieblingsmantel, welchen er und ich liebten. Dieser, welcher Stärke und Harmonie ausstrahlte mit einer gewissen Art an Arroganz. 

 

Er war krank, er sah nicht gut aus und tat auf cool. Er hätte viel zu tun und viel um die Ohren. 

Nach einem kurzen Gespräch wünschte ich ihm eine gute Heimfahrt, eine Fahrt in sein zu Hause. 

 

Er meinte, er wüsste nicht wo sein „zu Hause“ ist. Wie um Himmels Willen kann man kein Zuhause haben? Wie kann man sich so verloren fühlen und sich seinen Gefühlen nicht einstehen. 

Er ging in den Bahnhof und war verschwunden in dem Gewirr von Menschen und Pendlern, in ein Gewirr von Personen, die sich vielleicht genauso ein Zuhause wünschten gepaart mit denen, die jetzt nach Hause gingen und die warme Suppe genossen, die die liebenswerte Partnerin gekocht hatte. 

 

Es tat mir nicht so weh, wie ich es  dachte. Es ging mir nicht so nah, wie ich es erwartet hatte. Aber es beschäftigte mich. Und dafür gab es einen Grund. 

 

Morgen wird mein Opa beerdigt. Morgen fahre ich in das Dorf, in dem ich meine Kindheit verbracht hatte. Auf Strohballen geturnt, in der Jauchegrube Fußball gespielt. Ich durfte damals noch allein auf dem Rad zum Konsum fahren und Brötchen holen. 

Ja, ein Konsum. Wer es nicht kennt: ein kleiner Laden, der das nötigste beinhaltet und immer eine Dame hinter dem Tresen, welche als eine Art Bildzeitung agierte und alles vom Dorf wusste. 

Genau dahin fahre ich morgen und sage meinem Opa Lebewohl.

 

Vielleicht war es mir auch deshalb gerade nicht wichtig ihn zu treffen, weil es so viel wichtigeres auf dieser Welt gab, so viel essentielleres- das Leben. Die Liebe und das Leid. 

 

Ich trinke nun mein Glas Weißwein noch aus. Heute ist kein „Prosecco auf Rotwein“-Abend. Nein, heute trinke ich genussvoll meinen Weißwein aus in dem grausamen Ungewissen, was mich morgen wohl erwarten mag.

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