top of page
S-Bahn-Pärchen

Ja, ich will dass sie mir schreiben. 

Eigentlich ist es auch gerade ziemlich egal, welcher Mann mir Interesse bekundet. 

 

Ich habe mir auch schon einmal überlegt, alle einfach unter einem Namen zu speichern, alle, die mir liebe Sachen schreiben um mir dann vorzustellen, dass es eine Person ist und es mir einfach auszumalen. 

Ist das krank? Ja, vielleicht. Aber macht auch ziemlich Vieles einfacher. 

Ich brauch die Aufmerksamkeit, die Bestätigung und auch die Ablenkung. 

Nicht jedes Date funktioniert, nein, eigentlich sind es die wenigsten. 

Aber ich versuch es immer wieder. 

 

Fühle mich wie ein Hund, welcher immer gegen die Wand läuft nur weil auf der anderen Seite ein vermeintliches Leckerchen liegt. Aber vielleicht hat da auch nur irgendein Wissenschaftler ein Probemittel hingelegt. 

Und wenn ich es endlich geschafft habe, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, ja dann ist da ein Nichts. 

Dann war die ganze Mühe umsonst. Die Kopfschmerzen, der brummende Schädel von den ganzen Gedanken. 

Und dann? Dann merke ich, dass nur ich es bin, die mir die Kopfschmerzen austreiben kann. Das nichts hinter der Wand ist, was auf mich wartet. Sondern, dass ich weiter muss, die Mauer hinter mich lassen und raus aus meiner Komfortzone. Raus aus meine Schloss. 

 

Dann erwarten mich all die Abenteuer, dann finde ich mich und letztendlich auch das, was ich gesucht habe und nie gefunden. Was das genau ist, kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen.

 

Gerade sitze ich ziemlich ernüchternd in einer Bahn und meine Gedanken schweifen darum, endlich alles aufzugeben und wegzugehen. Ein Jahr, einen Monat, mehrere Wochen. Alles weg, nur ich und die Welt. 

Was ist da außerhalb meiner Schutzmauern, was erwartet mich in einem fremden Land, in einer fremden Kultur. Und wie werde ich mich dabei finden? 

Wie geht es mir, wenn ich irgendwo allein an einem Traumstrand bin und in die Ferne blicke. Was denke ich dann, wenn die Aussicht nicht getrübt ist durch graue Hochhäuser und überfüllte U-Bahn-Stationen? 

Aber ist es nicht eigentlich egal, wo man sich aufhält? Ist es nicht das Innere, was einen zur inneren Ruhe kommen lassen muss? Egal welches wunderbare Örtchen Welt sich um einem herum befindet? 

 

Und sind es nicht die Menschen, die es um einem herum ausmachen? Die gemeinsamen Erlebnisse? Das Dasein? 

 

Gerade hat sich ein Pärchen vor meinen Augen niedergelassenen. Sie liest ein Buch, er streichelt ihre Knie während er anscheinend eine Unterkunft für die nächsten Tage sucht. Sie scheinen vertraut, intim miteinander. Und sie sitzen um 23:00 an einem Dienstagabend in einer S-Bahn, glücklich und mit allen Umständen im Reinen. 

In meiner Welt könnte ich das Pärchen jetzt auch an einen Traumstrand von Bali beamen, der Zustand des Glücklichseins würde sich nicht trüben. 

 

Okay, ich gebe zu, das Vitamin D der Sonne am Tag zuvor, die fein gebräunte Haut und die leichte Kleidung auf dem Körper würden im Allgemeinen zu einem sicherlich positiveren Wohlstand führen; aber im Inneren, im tiefen ihrer Seele, würde es sich nicht verändern. 

 

Ein schöner Anblick denke ich gerade, während er ihre Hand nimmt und sie aus der S-Bahn-Tür führt. 

Ich wünsche euch nur das Beste liebes fremdes S-Bahn-Pärchen. 

bottom of page